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Ein Versuch über das Träumen…

“Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer” postuliert der Text auf Francisco de Goyas kleiner Zeichnung aus dem Jahr 1799. Über dem an seinem Schreibtisch in den Schlaf gesunkenen Mann lösen sich aus der Dunkelheit finstere Gestalten mit fledermausartigen Formen.

Im Schlaf ist die Vernunft also ausgeschaltet, das Unheimliche, das Unvernünftige und das Finstere bricht sich seine Bahn, so suggeriert der Text, und vertreibt das Lichte und Reine. Kürzlich besuchte ich mit dem Monolithen die Frankfurter Ausstellung “Schwarze Romantik”, in der auch Goyas Zeichnung gezeigt wurde, umgeben von allerlei apokalyptischen Visionen und – sozusagen als Eröffnungsbild – Johann Heinrich Füsslis “Nachtmahr”. Auch hier spielt der Schlaf eine bedeutende Rolle, auf der schlafenden Frau, die wie tot darniedergesunken ist, sitzt diabolisch grinsend ein Nachtmahr auf Ihrer Brust und raubt ihr den Atem. Im Hintergrund ein Geisterwesen in Pferdegestalt, mit weit aufgeblähten Nüstern und wahnsinnigem Blick. Auch hier entstehen aus dem Schlaf Ungeheuer, der den Schlaf begleitende Traum wird – wie es Füssli explizit benennt – zum Mahr, zum Alptraum, zum Sinnbild von Angst und Verderben.

Doch gebiert der Traum zwangsweise Ungeheuer? Räumt im Zustand des Nicht-bei-Verstand-seins, im Unvernünftigsein das Gehirn quasi seinen Dachboden auf und entdeckt dabei Dinge, die man im Wachzustand gar nicht erkennen möchte? Nun ja, gelegentlich schon, der Traum als Alptraum “erlebt”  ist eine eher unschöne Erfahrung, die Ungeheuer, um im Bild zu bleiben, bringen dem Träumer noch im Erwachen Angst und Schrecken.

Arthur Schnitzler etwa, der ein akribisches Traumtagebuch führte, träumte wiederholt von seinen eigenen Begräbnis und jedesmal kann man das Unbehagen nach dem Erwachen, das aus dem Tagebuch anklingt, beinahe mit den Händen greifen.

Doch Füsslis Bild macht noch auf etwas anderes aufmerksam, das sich so gar nicht in des Bild des “erweckten” Ungeheuers fügen mag und das auch bei Sigmund Freud eine bedeutende Rolle spielt: Der Eros. Denn die Frau auf Füsslis “Nachmahr” liegt – betrachtet man das Bild in dieser Weise – wie hingegossen auf dem Bett, den Kopf nach hinten gelehnt, die Brust nach oben gereckt, die Beine nicht – wie man es bei einer Toten vermuten würde – auf dem Laken liegend, sondern angewinkelt, leicht geöffnet. Der Mahr starrt ihr nicht etwa ins Gesicht, sondern ziemlich offensichtlich auf die Brüste, die von den weißen Kleid nur sachte verhüllt werden. Das Bein des Nachtmahr liegt auf der linken Brust. Der Dämon erscheint in seinem Grinsen geradezu lüstern.

Eros und Thanatos liegen hier also nahe beieinander – und Freud, der die Träume, grob vereinfacht, als Verschleierungen und Verschiebungen unerfüllter Wünsche ansieht – stellt diesen Zusammenhang in seiner immens einflussreichen “Traumdeutung” aus dem Jahr 1899 bzw. 1900 deutlich heraus. Auf dem Dachboden des eigenen Selbst findet sich also wohl nicht nur das Negative, Dunkle und Verdrängte, das man “verarbeiten”, sprich zerstören und neu zusammensetzen muss, sondern ebenso auch das Lustvolle, Helle und Wünschenswerte – das jedoch bei Freud deutlich zu kurz kommt.

Der Schlaf der Vernunft erlaubt es auch, Dinge lustvoll auszuprobieren, die man im Wachzustand – im Stadium des Vernünftigseins also – nicht denken mag. Nicht weil sie schrecklich sind, sondern weil sie Verbotenes, moralisch nicht Wünschenswertes enthalten mögen. “Wie wir im Traum zu letzten Gefühlswahrheiten kommen, deren sich im Wachsein unsere Eitelkeit schämt”, notiert Schnitzler etwa am 23.7. 1919, recht nachdenklich, aber von seinen zuvor geschilderten Traum tief beeindruckt. Denn die junge Frau, die er im Traum nackt beobachtet hat, kommt nicht nur einmal vor. An anderer Stelle konstatiert er nach einer frivolen Bootsfahrt: “Erwachen in einem unverhältnismäßigen Glücksgefühl”. Die Vernunft stellt das Glücksgefühl sofort als unverhältnismäßig dar, das Gefühl selbst aber bleibt bestehen.

Erweckte Ungeheuer sind in diesen Träumen keine zu bemerken. Umso besser, denn so kann der Schlaf der Vernunft auch Jemanden glücklich machen. Und das ist ja nicht immer das Schlechteste. Von daher also die Aufgabe: Angenehm träumen und das Es auch mal auf dem Dachboden spielen lassen, dort gibt es auch nette Kisten.

1 kommentar

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