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Ich, Damokles

Ohne die Intention, einen informativen Text schreiben zu wollen, dient der nachfolgende Beitrag lediglich dem Luftholen. Eine verschriftlichte Pause sozusagen. Es geht um Hausarbeiten – im akademischen, nicht hauswirtschaftlichen Sinne. Hausarbeiten warten – meiner Erfahrung nach – am Ende eines jeden Semesters und hängen, kaum dass das Semester begonnen hat, wie ein fies grinsendes Damoklesschwert im luftleeren abstrakten Raum der fernen Semesterferien. Und tatsächlich empfinde ich es so. Mit den Augen eines armen Damokles auf die Universität schielend und alle möglichen Unwägbarkeiten auf mich nehmend (Drama-Alarm!) schaffte ich es tatsächlich eines Tages, ein Studium zu beginnen (gefühlten Quadrillionen Wartesemestern sei Dank!). Doch kaum war diese Hürde genommen – dann muss man sich ja noch mit neuen Leuten auseinandersetzen, das akademische Arbeiten lernen, eine Wohnung finden (in MARBURG!!!! habt ihr Großstädter eine Ahnung, was das bedeutet???) und den ganzen anderen Quatsch – wartete auch schon die erste Hausarbeit auf uns.

Hausarbeiten sind eine grandiose Erfindung. Das ganze Semester ist nicht so aufschlussreich wie die dazugehörige Hausarbeit, man kann sich meistens das Thema selbst aussuchen, sich völlig austoben, wilde Thesen aufstellen und zu belegen versuchen – man kann sich sogar selbst widerlegen! Die Möglichkeiten sind grenzenlos! Ohne Mist. Selbst das Schreiben macht Spaß – wenn einem das Schreiben Spaß macht (und das sollte es, wenn man sich in einem geisteswissenschaftlichen Fach immatrikuliert). Wo also liegt das Problem? Warum sind Hausarbeiten ‚such a pain in the ass‘? Ich fürchte, die für mich zutreffende Antwort liegt im modularisierten System begründet. So sehr ich das B.A.- und M.A.-System auch schätze (wer mich jetzt steinigen will: bitte Nummer ziehen und hinten anstellen), aber – MANN! – unter diesen verfluchten Fristen leide ich wie ein zweibeiniger Hund, der sein Fressen noch jagend erlegen muss. Von anderen Studiengängen habe ich keine Ahnung, aber als Medienwissenschaftler leidet man gleich doppelt: Da darf man sich schon quasi hauptberuflich mit Filmen, Fernsehen, Internet und all‘ den Dingen beschäftigen, die der Laie in einer Schublade mit der Aufschrift ‚Freizeit‘ ablegt – diese Bilderwelten und Möglichkeiten! – und dann bleibt nicht mal die Zeit, das zu genießen. Und ich liebe Genuss!!! So wie ich mir ein Glas Wein Mini-Schlückchen für Mini-Schlückchen auf der Zunge zergehen lasse, so schaue ich auch bspw. Filme. Bild für Bild, Einstellung für Einstellung, Ton für Ton – und lasse mich berieseln. Natürlich drückt das Dasein als Medienwissenschaftler einem unweigerlich das Skalpell in die Hand, mit welchem man – ob man will oder nicht – den Film seziert. Aber auch das ist lust- und genussvoll. Man kann die Gedanken schweifen und Assoziationen freien Lauf lassen, Theorien aufstellen, sie durch deklinieren, verwerfen, neue aufstellen etc.

Aber das Schreiben von Hausarbeiten im modularisierten System lässt keinen Platz für solch schöngeistige Freiräume. Im Vordergrund steht die Deadline, das eigentliche Thema bzw. der Inhalt der Arbeit gerät zum Fahrwasser, auf welchem man keuchend der Deadline entgegen eilt und – ungezählte Schweißränder später – auch erreicht, aber ohne jenes erbauliche Gefühl, etwas Gutes, Schönes und Wertvolles geschaffen zu haben. Wagt man, sich darüber zu beklagen, dann hört man oft, dass man später schließlich in der freien Wirtschaft tätig sein soll und DA! geht’s nur mit Deadlines – und das von Leuten, deren Erfahrung in der Sagen umwobenen freien Wirtschaft sich auf ein sechsmonatiges Praktikum beschränkt – wenn überhaupt. Nun gut, mag ja sein, aber zeichnet sich das akademische Arbeiten nicht gerade durch die Losgelöstheit von der freien Wirtschaft aus? Besonders in der Geisteswissenschaft scheint es mir eine Farce zu sein, mich mit einem solchen Argument abspeisen zu wollen – oder geht es bspw. in der Filmwissenschaft etwa darum, marktwirtschaftlichen Einfluss auf meinetwegen die Absatzzahlen eines Filmes zu nehmen? Ich glaube nicht. Und das ist auch gut so. Mit Odo Marquards Kompensationstheorie argumentiert scheint es mir schlichtweg falsch und auch ein bisschen heuchlerisch, mir ein solches Argument unterjubeln zu wollen. (Davon abgesehen: Ich studiere, habe zwei Jobs und sehr wohl eine Ahnung von der freien Wirtschaft. So.) Also worauf will das modularisierte System mit seinen knappen Fristen hinaus? Diesen Sommer haben wir fast 3 Monate Semesterferien und trotzdem haben wir für zwei Hausarbeiten nur sechs Wochen Zeit. Warum? Ich sage nicht, dass das nicht zu schaffen ist – ich musste schon mal 4 (vier!) Arbeiten in 2 (zwei!) Wochen schreiben, weil mir ein Praktikum in die Quere kam und die Anmeldung zur Abschlussprüfung eine Hausarbeiten-Verlängerung unmöglich machte. Das geht schon irgendwie. Aber warum sollte es auf Biegen und Brechen irgendwie gehen? Warum fühlt sich die Geisteswissenschaft genötigt, ihr schöngeistiges Dasein zu Gunsten einer fehlgeleiteten Unterwürfigkeit aufzugeben? Das entzieht sich meinem Verständnis. Wohlgemerkt, ich meine hier nur die knappen Fristen für Hausarbeiten, nicht das ganze System – denn:

Die Kreativität ist ein scheues Reh – wedelt man mit Deadlines, verzieht es sich ganz schnell in die Untiefen des Unerreichbaren. Man muss es locken, sanft anfüttern, scheu liebkosen und sich ganz langsam nähern – aber so etwas erfordert Zeit. Zeit, die wir nicht haben. Zugegeben, meine Noten sind okay, aber noch nie habe ich eine etwas ältere Arbeit von mir gelesen und gedacht: „Mann-o-mann, das ist ja mal richtig geiler Scheiß!“ Vielmehr denke ich dann: „Hmmm, ja, ganz nett, aber irgendwie auch…fad.“

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