Mitten in der Nacht fällt mir auf, dass ich gar nicht weiß, was Seitan ist. Draußen wummert aus irgendeiner undefinierbaren Richtung der Bass – hier im Kessel kann der Schall schon weit tragen, aber ich vermute, er kommt vom Dönermann ein Haus weiter. Es sind orientalische Klänge und nachts sind meine Schubladen etwas einfacher gestrickt. Der Bass ist so laut, dass selbst geschlossene Fenster und Ohropax nichts helfen, die Neighbours from Hell kämpfen mit unfairen Mitteln. Nein, ich bin nur müde und etwas angekratzt und weiß nicht, was ich tun soll. Doch, denkt es in mir, ruf einfach da an, horche, ob die Quelle deiner Unruhe durch das Telefon identifiziert werden kann und wenn ja, dann bitte sie ganz höflich, die Musik etwas runter zu drehen. Gesagt, getan. Ein Mann hebt ab, ich horche kurz, lasse die stille Leitung meine Frage beantworten und – lege auf. Da kommt’s nicht her und ich habe keine Lust, mir irgendwas zurecht zu stammeln. Meine Kinderstube hat nachts Feierabend.
Ich hänge den Kopf aus dem Fenster und horche die Straße auf und ab. Der Ursprung ist nicht auszumachen. Beim Libanesen drüben feudelt einer den Boden, die schließen wohl bald. Ich hoffe.
Zwischenzeitlich weiß ich ja immer noch nicht, was Seitan ist. Wikipedia klärt mich auf: Seitan ist quasi reines Gluten. Zu einer zähen Masse verknetet, die sich ähnlich anfühlen soll wie Fleisch und auch so verarbeitet werden kann. Aber Moment mal: Gluten? Ist das nicht das Zeug, das alle Welt zu vermeiden versucht? Vom Leaky Gut Syndrome über Insulinresistenz bis hin zu Chronic Fatigue – überall soll Gluten seine klebrigen kleinen Fingerchen im Spiel haben. Ich bin verblüfft. Und ein wenig angewidert. Im Hinterkopf schreibe ich diesen Artikel, während ich mich wieder hinlege und versuche, mit Nature Sounds aus den In-Ears den Bass zu übertrumpfen. Das funktioniert ganz gut, nur leider ist das Gewitter, das mich sanft ins Lummerland tragen soll, ein heftiges Unwetter. Warum wollte ich nochmal unbedingt in der Stadt wohnen?
Ich gebe auf. Nachdem ich mich nun beinahe 2 Stunden mit unnützen Dingen beschäftigt habe, nehme ich die Kopfhörer ab und siehe da – die Musik ist aus und ich bin wach.
Ich stehe auf, esse zwei Doppelkekse und frage mich, was ich Wikipedia als nächstes mal fragen könnte.
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