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Die Normalisierung des Superlativs

Gibt es ein neues Ding, ganz gleich welcher Couleur, dann ist es kein beliebiges neues Produkt, sondern es ist gleich Mega- oder Ultra- oder sonstwie total super und noch nie dagewesen. Könnte das neue Ding nicht einfach nur mal gut sein? Komischerweise neigt in letzter Zeit auch die seriöse Literaturkritik zu solchen vorschnellen Wortorgasmen, wenn es um neue Bücher geht.

Charlotte Roches “Feuchtgebiete” waren kaum gedruckt, so überbot man sich schon gegenseitig mit Lobeshymnen auf diesen angeblichen feministischen Befreiungsschlag, feierte die neue Offenheit und erhob die bis dahin nicht gerade als Intellektuelle aufgefallene Autorin in höchste Sphären. Gelesen hatte dieses Pamphlet bis dahin wohl keiner so richtig, denn das Buch ist nicht gerade ein literarisches Highlight. Genauer: Es ist sogar ziemlich großer Mist. Eine dünne Story, viel platte Provokation und – was kaum einer beachtete – Vehikel für ein merkwürdig konservatives Familienbild, das die Vater-Mutter-Kind-Familie als Wunschtraum des verstörten Scheidungskindes propagiert.

Von einem ähnlichen Widerwillen wird man befallen, wenn man den neuen “Star” am deutschen Literaturhimmel in allen Zeitungen unter die Nase gerieben bekommt. Die Rede ist natürlich von der unvermeidlichen Helene Hegemann, Töchterlein des Ex-Volksbühne-Dramaturgen Carl Hegemann (was sie nicht gerne hört), 17 Jahre alt (was sie auch nicht gerne hört). Nunja, ohne ihren Vater hätte sich wohl kaum ein Verlag für ihr Buch interessiert und der Literaturbetrieb giert nicht erst seit der “Fräuleinwunder”-Zeit in den 1990er-Jahren nach jungen Damen, die schreiben können.

Ob das Buch was taugt, dazu sage ich nichts, ich habe das Buch nicht gelesen und maße mir daher kein Urteil zum Werk selbst an. Wohl aber ist es seltsam, mit welchen Vorschusslorbeeren eine 17-Jährige belegt wird. Selbst in Harald Schmidts Sendung, der die Hegemann onkelhaft umschmeichelte, wurde deutlich, dass hinter der Fassade nicht viel zu holen ist. Giorgio Agamben – hat sie zwar erwähnt, kennt sie aber nicht. Intertextualität – spricht sie ständig von, hat aber Mühe, das Wort fehlerfrei auszusprechen. Und der Club, von dem sie im Buch schreibt – dazu kann sie auch kaum was sagen. “Wahnsinnig intelligent und eloquent”, wie sie Schmidt nennt? Eher nicht, eher normal, eben typischer Teenie und daher per se etwas nervig und altklug.

Und so sollte sich gerade der Literaturbetrieb mal an die eigene Nase fassen, ob man das Mädel denn unbedingt als die Entdeckung des Jahres feiern muss. Und sich mal in Ruhe hinsetzen, das Buch lesen und dann entscheiden, ob man denn jede Mode mitmachen muss und bei jedem öffentlich geäußerten “Scheiße” und “Fick” in einem Roman gleich von der Befreiung der jüngsten deutschen Literatur  delirieren sollte. Das Hegemann-Buch ist eines mit Sicherheit: Ein geschickt lancierter Verlagscoup, der von der Literaturkritik brav – und mittels einer der Werbung entlehnten Sprache – mitgetragen wird. “Würde ein Feuilleton, das etwas auf sich hält, dem Rezensenten gar die Zeit geben, einen Roman zu lesen und das Gelesene in Ruhe zu verarbeiten, würde das späte Erscheinen der Rezension zum eigentlichen »Ereignis«, die schnelle Rezension hat die gute Kritik ersetzt”, schrieb Jörg Sundermeier jüngst in der Jungle World. Wie recht er hat! Und wie schade ist es, dass er recht hat…

Also werde ich nun ein guter Kritiker sein, mir das Buch eben kaufen, damit ich meine Hegemann-Bedenken auch am Buch festmachen kann, aber ehrlich gesagt: Gutes erwarte ich prophylaktisch schon mal nicht…

2 Comments

  1. charlotte charlotte

    dazu fallen mir gerade noch die worte karl kraus’ in die finger:
    “Weil er sich nicht geniert hat,

    glaubt er, er sei ein Genie.

    Weil er uns nicht amüsiert hat,

    hält ers für Poesie.

    Weil er einst onaniert hat,

    wirds eine Autobiographie.”

    passt doch wunderbar…

  2. charlotte charlotte

    danke, du sprichst mir aus der seele!

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