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Entdigitalisierung und Verweigerung

Eigentlich ist das Ganze schon recht bizarr: Da schreibt man einen Artikel über die Entdigitalisierung, über die Schönheit und Erhabenheit des Analogen (siehe hier) – und wo veröffentlicht man das Ganze? In einem Blog, dem Inbegriff des Web 2.0., der digitalen Welt. Dabei ist das Bloggen so neu nun auch wieder nicht, immerhin gab es bereit 1998 den literarisch beachtlichen Versuch, ein Jahr lang ungefiltert der Genese einer Schrift beizuwohnen, die später in Buchform den ebenso hintersinnigen wie passenden Titel “Abfall für alle” bekam und in der Rainald Goetz an seinem “Roman eines Jahres” schrieb. Doch auch hier: Das Digitale, das Flüchtige wurde analogisiert, entdigitalisiert – das daraus entstandene Buch ist etwas, was in der Lage ist, die Zeit zu überdauern – und das eben nicht in Gefahr läuft, von einem neuen Format abgelöst wird, das möglicherweise inkompatibel zum alten ist.

Beim Stöbern auf meiner Festplatte stolperte ich jüngst über eine Datei, die ein mir nicht bekanntes Format aufwies und die ich naturgemäß auch nicht mehr öffnen konnte. Der Rechner stöhnte genervt, er hätte kein passendes Programm, um diese Datei, die den verheißungsvollen Namen “Kubanisches Tagebuch” trug, zu öffnen. Ob das tragisch ist, oder nicht, das mag man sehen wie man will – ich weiß ja, dass es sich hierbei um einigermaßen belanglose Aufzeichnungen aus einem über zehn Jahre zurückliegenden Urlaub handelte, das seinen prätentiösen Titel als Anlehnung an Ches “Bolivianisches Tagebuch” trägt.

Doch der Kern des Problems liegt – ungeachtet der Qualität des Erzeugnisses – darin, dass die digitale Welt eine ist, die nicht nur die Dinge archiviert und global zugänglich macht, sondern auch eine, die ungemein schnell vergisst. Was ist mit den ganzen Kurznachrichten, den Chats, den Mails, die man im Laufe seines Erwachens aus der digitalen Steinzeit angehäuft hat? Diese sind ganz schnell vergessen, sind ebenso flüchtig, wie das Medium, das bei ihrer Entstehung hilft. Und so kommt man sich ganz merkwürdig vor, wenn man tatsächlich so exzentrisch ist, diese Dinge gerne bewahren zu wollen. Ich etwa besitze sämtliche Mails seit dem Jahr 2003 noch, die erhaltenen wie die geschriebenen. Und manchmal ist es schlicht schön und für das eigene Wohlbefinden mal mehr, mal weniger nützlich, in alten Mails zu stöbern, behutsam verstaubte Gedankengänge nachzuvollziehen, skurrilen Unterhaltungen beizuwohnen, vergebliches Werben zu betrachten und haltlose Pamphlete registrieren oder neu zu denken. Manchmal möchte ich diese Sachen ganz gerne sichern, aufbewahren, auf Papier bannen. Nicht immer aus Nostalgie, sondern auch immer öfter als Lernmaterial, dass man solche törichten Hirngespinste vermeidet, nicht nochmal die selben Fehler begeht.

Doch auch die Kommunikation als solche kann störend sein. Und auch dieser Haltung steht die digitale Welt zumindest irritiert gegenüber. Denn jene digitale Welt zeichnet sich durch allgegenwärtige Kommunikation aus: Man ist in der Lage, immer und überall zu kommunizieren – man soll aber auch immer und überall an der Kommunikation teilnehmen. Was viele Menschen gar nicht mehr zu können scheinen, das sollte man auch hier gelegentlich tun: Sich dem Ganzen zu verweigern. Nicht kommunizieren, nicht erreichbar sein. Keine Mails beantworten, die sein Chef einem um 1:23 schickt, keine Telephonanrufe annehmen, wenn man Besuch hat, auf den man Wert legt, das Mobilfunkgerät ignorieren, wenn man im Park mit einer netten Person dasitzt, plaudert und im Idealfall Erdbeeren isst. Das klingt einfacher als es ist, man hat auch den Eindruck, dass der moderne, junge Mensch gar nicht mehr ohne seine technischen Erweiterungen funktionieren kann. Man wird schief angesehen, wenn man nach drei SMS und vier Anrufen nicht reagiert hat. Aber wieso sollte man sich eben nicht diese Frechheit rausnehmen, diese Fremdbestimmung abzulegen und einfach tun, was man tun möchte, wann man es möchte? Analog leben, sich mit jemanden unterhalten, rumlungern, Blödsinn reden und tun? Das sollte man sich bewahren: Einen souveränen Umgang mit den Medien, mit den technischen Möglichkeiten, die die digitale Welt bietet – sich nicht von den Möglichkeiten beherrschen lassen, sondern sie für seine Zwecke einsetzen.

Und diese Unabhängigkeit bewahren.

Das Dauernde dem Flüchtigen gegenüberstellen.

Ohne die Progressivität aufzugeben.

2 Comments

  1. omnikultur omnikultur

    André, ich mag deine Schreibe immer sehr. Und ja, das letzte Wochenende einfach mal keine Mails zu checken, das hat sich wirklich gut angefühlt. Wesentlich aufdringlicher als das Netz finde und fand ich aber schon immer das Handy, weshalb es bei mir auch die meiste Zeit am Tag auf “lautlos” steht.

    In den Untiefen des WWW hingegen finden sich hin und wieder richtige Schätze aus der Vergangenheit, die da fast schon nicht mehr weg zu kriegen sind. Das Internet vergisst nämlich nichts. Neulich fand ich eine alte Webseite, die ich vor 9 Jahren veröffentlicht habe. Und wie bei alten Kinderfotos hab ich mich irgendwo zwischen nostalgisch und peinlich berührt gefühlt.

    Mittlerweile sollte man sich wohl eher fragen: Brauche ich den ganzen Datenmüll? Die Datenträger werden immer fetter und deshalb packen wir uns alles drauf, was wir haben. Wenn ich ein Buch drucken könnte, würd ich mir schwer überlegen, was reinkommt. Die 1TB HDD pack ich erst mal bis oben hin voll, kann man später ja immer noch löschen. Macht man aber nicht. Wenn, dann ist das doch das größere Problem. 😉

    Siehe: Unsere Berechnungen am letzten Schlucke-Dienstag über die Zeit, die du brauchen wirst, um deine gesamte Musik-Sammlung zu hören und dass es nicht gehen wird.

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