Dieses Jahr war es soweit: Nachdem mir ein sehr guter Freund jahrelang berichtet hat, wie grandios dieses Festival in einem kleinen Ort im Kreis Schenefeld doch sei, ließ ich mich überzeugen, bei jenem Ereignis auch persönlich einmal zugegen zu sein. Spontan, wie man gelegentlich auch jenseits der 30 ist, orderte ich eine Karte für das Wacken Open Air 2011, für stolze 130 EUR, naja, drei Tage Musik und vor allem nette Gesellschaft, das ist ja echt OK.
Das einzige Manko bislang: Die Musik, Heavy Metal, eine Stilrichtung, die man sich, so meine Theorie, bis höchstens zum 18. Lebensjahr anhört. Obwohl, ja, es gibt Ausnahmen, manche Dinge sind auch jenseits der 20 keinesfalls ein Grund für soziale Ächtung. Aber ein wenig suspekt, OK, das ist das Ganze schon. Dieses Jahr waren angekündigt: Ozzy, Apocalyptica, Motörhead, immerhin… Auf Apocalyptica freute ich mich schon ein wenig, kaum jemand hat Metallica bislang so angenehm interpretiert…
Also wenn schon, dann richtig. Mit 35 zu einem mehrtägigen Festival, was liegt da näher als Heavy Metal? Mit knapp zwanzig versuchte man sich einst am Blindman´s Ball in Stuttgart, immerhin mit Metallica, aber gegen Wacken, drei Tage lang, war das definitiv Kinderkram. Nun also gilt das Motto “Louder than hell” und mit Höllen kenne ich mich aus, schließlich bin ich Anhänger des FCK. Mal gespannt.
Mit zwiespältigen, aber souverän nach außen getragenen Gefühlen geht es in Kiel los, gen Lübeck, wo der dritte Mitstreiter eingesammelt wird. Dann die Ankunft im Nichts, Kuhweiden, soweit das Auge reicht, im Niemandsland zwischen Itzehoe und Hamburg gelegen ist Wacken ein Kaff, wie es im Buch steht, einmal im Jahr wird es dann zum legendären “Full Metal Village”, den Rest der Zeit kann man sich hier wohl nur in der Nase bohren. Dort angekommen werden wir auf den hintersten “Campground” verwiesen, was aber kein Nachteil sein sollte, so hatte man zumindest ein wenig Ruhe, was in unserem Alter auch nicht schaden kann. Flugs also souverän Zelte und den Pavillon aufgebaut, sieht ganz geschmeidig aus, soweit. Also flugs noch den wichtigsten Gebrauchsgegenstand überhaupt aufgebaut: Den Grill.
Insgesamt sieht das Ganze hier recht friedlich aus, auch wenn man den Eindruck hat, die immer großartig auf ihre Individualität pochenden Metal-Jünger trügen eine Art Uniform: Schwarze Hose, lange Haare und schwarzes T-Shirt mit irgendeinem Bandlogo kombiniert. Ich hebe mich da mit meinem blauen Poloshirt zu schwarzer Jeans mächtig ab und komme mir mit meiner Kombi einerseits deplatziert und gleichzeitig wahnsinnig individuell vor, lasse mir aber nicht großartig was anmerken.
Wenig später brennt dann der Grill, die Freude aufs Essen steigt und man ist schon ein wenig neugierig, was einem hier erwarten wird. Nach dem Essen geht es dann los Richtung Festivalgelände, was gar nicht so einfach ist, denn es ist schlichtwegs vollkommen unübersichtlich hier. Zehntausende gleich aussehende Menschen vor Zelten und vor allem: Hinter Bierdosen. Irgendwie schafft man es dennoch,ich bewege mich, der Exzentrik wegen, auch abends mit Strohhut und Sonnenbrille. Eigentlich ein ungemein geschickter Aufzug, um nicht von jedem, der entgegenkommt, mit einem lauten “Wackööööööööön” angebrüllt zu werden. Aber immerhin die Aufgabe, das Bändchen für die kommenden drei Tage zu holen wird souverän erledigt.
Ebenso wie das Fußballgespräch mit plötzlich neben uns sitzenden Ösis und die Diskussion mit der Barkeeperin über die wahre Zusammensetzung eines pfälzischen Weinschorles. Dann geht es auf den Rückweg, aber die schwierigste Aufgabe steht einem noch bevor: Wie zur Hölle findet man in diesem Chaos sein Zelt wieder? “Ne App ´für runterladen”, schreibe ich auf meinen gehirninternen Merkzettel, sowas gibt es bestimmt…
So geht es dann, laut Arbeiterlieder singend – man ist seinem linksradikalen Status geschuldet – mit “Auf, auf zum Kampf”, “Die Ernst-Thälmann-Kolonne” und der “Internationale” heimwärts gen Zeltplatz Aber: Ende gut, alles gut, man findet das Zelt, lungert noch ein wenig rum geht schließlich ins Bett. Den ersten Tag also geschafft.
Aufgewacht des Morgens von lautem Krach-mit-Geschrei-Metal, den Weg zwischen Kuhfladen zu den sanitären Anlagen gesucht und dort die unschätzbaren Vorteile des Mannseins entdeckt: Man muss diese äußerst obskuren Dixies nicht benutzen. Und: Es regnet natürlich, wie sollte es auch anders sein. Aber das heißt ja: Festival-Feeling pur. Ich fiel dann gleich nochmal kräftig aus der Rolle, denn lesenderweise im Stuhl vorm Zelt sitzend fing ich mir dabei ein paar misstrauische Blicke unserer Nachbarn ein. Ich rede mir aber ein, dies läge nicht am Buch, sondern am fehlenden Bier vor mir. Dennoch war man etwas irritiert und ich beschließe, einen kleinen Rundgang zu machen. Und die erste Erkentnis: Auf Festivals lungert man offenbar zuerst mal tüchtig rum, denn bis zum frühen Nachmittag passiert hier nicht viel.
Der erste Tag beginnt mit Helloween, deren Frontmann sich ekelhaft und peinlich schlecht dem Publikum anbiedert, anschließend folgt Blind Guardian, die überraschend gut sind und dann aber die Freakshow schlechthin, nämlich Ozzy Osbourne. Und es gibt es auch eine wichtige Erkenntnis: Lautstärke wird überschätzt, denn mitten aufm Gelände pennt ein Typ bei infernalischem Krach, wacht zur Hälfte von Helloween auf, um dann lauthals herumzubrüllen, es gäbe ja nur Scheissbands, erst diese Band mit diesem Arsch von Sänger, dann müsse er auch noch Guardian ertragen…
Ich muss die dabei ganze Zeit auf seine Füße starren, denn er trägt dabei Hausschuhe mit Wollsocken und in seiner Tirade lässt er lediglich Ozzy als erträglich gelten. Umso erstaunlicher, dass er beim Auftritt von Ozzy plötzlich verschwunden ist. Mystery. Ebenso mystery ist es, dass Ozzy weniger fertig ist, als man vermutet hätte – also nur ziemlich fertig. Und auch wenn man bei “Mr. Crowley” kurz den Gedanken hat, er mache sich nun vollends lächerlich, liefert er doch eine solide Show ab.
Und es gibt übrigens wirklich für alles eine App: Dank “take me to my car” dieses Mal souverän die Zelte gefunden. Fast fühlt man sich wie Heavy Metal. Am nächsten Tag jedoch die Ernüchterung: Man wacht auf und verspürt ein unbändiges Gedürfnis nach Körperpflege. Einfach so, aus heiterem Himmel. Dabei ist Duschen doch gar kein Heavy Metal, wie man auf hier käuflich zu erwerbenden Duschhandtüchern lesen kann. Heimlich kaufe ich mir einen Duschkarte und stelle mich prompt an – so unbemerkt kann das gehen mit der Reinigungssucht.
Danach lege ich einen Spaziergang ums Gelände und ins Dorf zu ein, denn ich schaue mich ja immer gerne erstmal in meiner Umgebung um. Also mit meiner antiken, analogen Minox-Kamera los. Das ist schon alles ziemlich abgefahren in diesem Dorf, wenn da Omas mit schwarzem T-Shirt in der Hofeinfahrt ihre selbstgemachte Marmelade oder Muffins feilbieten. Mein Geistigehirn nahm das alles erst mal wohlwollend auf, zur späteren Diskursivierung. Kaufe mir im Edeka eine Schokomilch – jajaja, ich weiß, das ist auch kein Heavy Metal – und besuche noch die putzige, winzige Bäckerei.
Nach einem üppigen Grillgelage gegen Mittag ging es dann erneut zur Bühne, heute gab es Judas Priest, Airbourne und Apocalyptica. Judas Priest ist recht albern, was das Auftreten des Sängers auch noch bestätigt. Mönchskutten im Diskokugeldesign sind eben albern. Gedanklichen Diskurs über “Komik und Heavy Metal” geführt, das wäre wohl gar nicht mal so unergiebig, wenn auch die Komik in den meisten Fällen, korrigiere in fast allen Fällen unfreiwillig ist. Naja. Das persönliches Highlight folgte dann um zwei Uhr, denn Apocalyptica waren beängstigend gut, da hatte sich das Aufbleiben definitiv gelohnt.
Todmüde gegen drei Uhr wieder am Zelt angelangt, doch unsere Nachbarn scheinen einen Wettkampf der besonderen Art auszutragen und schnarchen um die Wette, an Schlaf ist nicht zu denken…sondern man muss stattdessen akute Mordgedanken verscheuchen. Morgens wird man dann von den gleichen Personen mit ausgiebigem Raucherhusten und tiefem Schleimhochholen geweckt. Lieblich, aber das ist im Gegensatz zu Duschen bestimmt Heavy Metal…
So bricht der letzte Tag an, das Programm ist heute recht entspannt, nur Sepultura und Motorhead stehen auf der Agenda. Das heißt also nach dem Aufstehen sich erst mal gemütlich in die Toilettenschlange einreihen, denn diese obskuren Dixi-Dinger müssen nun echt nicht sein. Dort hat man ungewohntes Glück, denn gerade wurde geputzt, frühes Aufstehen lohnt sich manchmal echt. Beinahe Anfälle von Glücksgefühl. Danach Frühstück, lungern, Grill anwerfen gegen eins, um das rechtliche Fleisch wegzubekommen. Prüfe das Fleisch kritisch und heimlich per Geruch, denn wie hat mich meine Mutter gelehrt: Man riecht, wenn Fleisch schlecht ist. Also gut durchgegrillt, kurz vor der Holzkohlewerdung ist es wohl nicht tödlich, sondern unter diesen Umständen perfekt!
Pünktlich zu Sepultura ist man wieder auf dem Gelände. Das Konzert selbst ist recht gut, dass man die Band zuletzt vor Äonen gehört hatte, fällt kaum ins Gewicht, denn es ist laut, hart und man versteht kein Wort. Aber im Vergleich zur Nachbarbühne, wo eine “Band” zu Bassgewummer, das das verputzte Steak im Magen vibrieren lässt, komische Grunzlaute von sich gibt, ist das echt gut. Abends um kurz nach zehn zu Motorhead aufgebrochen. Die sind schnell und halt so wie immer, also mittel. So spätestens nach drei Songs nutzt sich das Ganze auch langsam ab, aber die halten die Gleichförmigkeit souverän durch.
Prompt fängt es auch noch an zu regnen, aber zum Glück hat man vorgesorgt, denn man kennt ja die Unberechenbarkeit der Welt da draußen…Ich freue mich in diesem Moment unbändig darauf, die Zivilisation mit Badezimmer, Betten und dem ganzen Luxuskram wieder erleben zu können, den man, zugegebenermaßen, doch man so liebt…
Es bleibt die Erkenntnis: Ich bin definitiv kein Heavy Metal. Und ich mag es offenbar, in gewissen Bereichen ein Freund von Ordnung (im Gegensatz zu einigen Campern, die bereits am zweiten Tag Kathedralen aus Müll und Dosen errichten können) und vor allem von sanitärem Luxus zu sein…
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