Filmkritik zu “Rohtenburg”.
Ich glaube, ich gehöre zu den wenigen Personen, die es ganz schrecklich fanden, dass „Rohtenburg“ in Deutschland zunächst nicht gezeigt werden durfte. Natürlich gibt es so etwas wie ein Persönlichkeitsrecht und natürlich wird selbiges tagtäglich im Fernsehen verletzt, was seine Verletzung per se natürlich nicht rechtfertigen kann. Aber Moment mal, woher nehmen denn all die Autoren und Regisseure ihre Ideen, wenn nicht aus dem, was um sie herum geschieht? Jedes Werk beginnt mit einem persönlichen Erlebnis und wird nur deshalb zu einem Werk, weil es zurechtgestutzt, interpretiert und mit Bedeutungen gefüllt wird, die vorher nicht da waren. Dann löst es sich von seiner Inspiration und wird im besten Falle Kunst.
Eine Tat, wie sie sich im März 2001 ereignet hat, birgt nichtsdestotrotz deshalb in sich so ein Potenzial, weil sie aus der Realität kommt. Und dort, in der Realität, da laufen keine verstrahlten Mutanten-Zombies oder Splatter-Psychopathen herum, die ohne plausible Motivation Menschen metzeln. In der Realität entwickeln sich Kinder zu Menschen und erleben auf diesem Weg Erfolge und Rückschläge, die aus ihnen eine Persönlichkeit formen. Wenn man sich Inhalten aus der Realität bedient, dann, finde ich, sollte man den Anspruch haben, diese Entwicklungen in die Geschichte einzubeziehen. Nicht zwangsläufig aus Pietät, sondern weil es sich beim Prozess der Persönlichkeitsbildung um etwas so Komplexes handelt, dass es für jede Dramaturgie eine Bereicherung sein kann.
Dass „Rohtenburg“ die Geschehnisse im Jahr 2001 eher als Event und deshalb Zuschauermagnet betrachten könnte, dessen Thematik dann ganz wörtlich und bildlich ausgeschlachtet würde, davor hatte ich am meisten Angst, als ich die DVD einlegte.
Allerdings nähert sich der Film seinen beiden Hauptfiguren wesentlicher sensibler an, als gedacht. Da ist einer, auf dem seit dem Tod seiner Mutter eine nicht zu ertragende Schuld lastet, der am liebsten einfach aufgegessen werden möchte. Dort ist ein anderer, der ein Leben lang psychische Gewalt von seiner Mutter erfahren hat, dessen einzige Möglichkeit, etwas, das er gerne mag, ganz für sich allein zu haben und zu spüren, darin liegt es aufzuessen. „They were a perfect match“, konstatiert Katie Armstrong, die eigentliche Protagonistin des Films, durch die wir vom Kannibalen und seinem „Fleisch“ überhaupt erst erfahren. Die stereotypische Psychologie-Studentin, die vom Schwarz der menschlichen Psyche fasziniert ist, deshalb aus den USA nach Deutschland reist, dort ihr Studium fortsetzt und ihre Dissertation natürlich über Rohtenburg schreibt, wirkt tatsächlich ziemlich aufgesetzt. Aber sie ist eben nur Mittel zum Zweck.
Die Figuren Oliver Hartwin und Simon Grombeck werden erzählt, als handele es sich um ein Liebespaar, das füreinander bestimmt ist, endlich zueinander und damit Erlösung findet. Vollkommen zugedröhnt streichelt Simon Oliver am Nacken, unendlich dankbar, Kraft spendend, bevor dieser ihm seinen sehnlichsten Wunsch erfüllt, ihm den Penis abschneidet, ihn schlachtet und isst. Dieser Moment, an dem zum ersten Mal Blut fließt, ist dann wirklich das Einzige, das den Zuschauer verstört. Während die Emails, die beide einander schickten, noch wie zärtliche Liebesgeständnisse geklungen hatten, wird aus einem gemeinsamen Traum plötzlich ernst. Wir wissen, dass Simon und Oliver einander auf eine gewisse Art gebraucht haben. Trotzdem wünschen wir uns, jemand hätte den beiden geholfen. Was wir vermissen ist noch mehr Tiefe, vor allem in den Kindheitsschilderungen der beiden. Am Ende sind wir jedenfalls sehr glücklich darüber, dass „Rohtenburg“ kein Horrorfilm geworden ist.
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