Heute habe ich keine Lust. Es ist Freitag. Es ist grau. Es ist kalt. Ich bin müde.
Um dreizehnuhrdreißig hätte ich mein Soll für diese Woche erfüllt, aber weil meine Stellvertretung im Urlaub ist, muss ich heute bis achtzehn Uhr hier bleiben. Es wird also ein langer, lustloser, grauer, kalter Tag. So ist es manchmal. Es kann auch nicht immer alles smileyfaces und positive thinking sein, manchmal ist auch Flaute und ich finde das voll okay. Mehr noch, ich zelebriere das richtig. Ich gehe auf in dem dunklen Wetter, werde innerlich ganz still und äußerlich ganz langsam und begegne Allem, was versucht, das letzte Bisschen Effizienz aus mir heraus zu holen, mit einem wissenden Lächeln. Ich weiß nämlich, dass das heute nicht stattfindet. Heute wird nichts übers Knie gebrochen und heute wird auch keine Ausnahme gemacht. Das ist nämlich der Schlager in unserem Sortiment. Die Ausnahme. Eben noch was dazwischen quetschen. Bitte, bitte, am besten kostenfrei, zwei Stunden lang, eine Geburtstagskarte erdenken, layouten und drucken. Mal schnell noch heute, eigentlich unbedingt bis in spätestens einer Stunde, die hässlichen Flyer für die x-te Demo am Nachmittag drucken, weil man so lange geschlafen hat und schließlich ist es der Anlass ja wert, dass man sich dafür ins Zeug legt. Man weiß nämlich in dieser kleinen Stadt, dass wir ein Integrationsbetrieb sind und aus irgendeinem mir nicht ganz klaren Grund, fühlt sich gerade die ältere Linke als Anteilseigner und Seelengefährte und tritt bisweilen so auf, als schulde man ihr etwas – vor allen Dingen Solidarität.
Ich mag es nicht, vor jemandes Karren gespannt zu werden und mit den Jahren werde ich immer weniger nett. Wie dieses eine Mal: Seit Jahren kommt eine Frau zu uns, die hier in ihre Mails schaut, Mails schreibt, hin und wieder Kleinigkeiten ausdruckt und nie genug Geld für unsere Gebühren hat. Ich habe ihr das meist durchgehen lassen, weil sie wirkte, als sei sie ganz arm dran: Zersaust und verbraucht, gehetzt, billig und unordentlich gekleidet und häufig mit einem buchstäblich schmutzigen Kleinkind im Schlepptau, das alles andere als entspannt wirkte. „Ich muss nur eben in meine Mails schauen, ich habe zu Hause kein Internet“, war einer ihrer Standardsätze. „Ich muss etwas schreiben in Word, können Sie mir da helfen?“, ein anderer. Und scheiße Mann, ich bin einfach nett. Irgendwann vor ein paar Monaten fragte sie dann nicht mehr nach mir, sondern nach einem meiner Mitarbeiter, der ihr „immer gut geholfen hat“, sie müsse nämlich eine Bewerbung schreiben und wisse nicht, wie das geht. Ich hole den Mitarbeiter und lasse die beiden machen. Aus irgendeinem Impuls heraus schaue ich zwischendurch mal auf den Bildschirm und traue meinen Augen kaum: Meine arme Sau ist eigentlich Oberärztin im Klinikum. Ich bleibe bewusst lange hinter den beiden stehen, damit sie sieht, was ich da sehe und kassiere sie hinterher ordnungsgemäß, laut Preisliste, ab. Sie wirft mir kurz ihren Hundeblick zu, merkt aber schnell, dass der Zug abgefahren ist und seither habe ich sie nicht mehr gesehen. Was soll ich sagen? Menschen sind scheiße.
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