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Meine freie Zeit – Tag 1

Den Job also gekündigt und die letzten Arbeitswochen in einer Mischung aus zäher Müdigkeit, Wehmut und dem dringenden Verlangen nach einer Tiefenentspannung bringenden Auszeit verbracht. Und hier ist sie nun – die Auszeit. Der erste Tag endet mit mir am Laptop vor meinem Schlafzimmerfenster, beobachtet von Hotelgästen im dunklen Fenster gegenüber, die sicher glauben, ich würde sie nicht sehen. Dabei sehe ich sie ganz genau und auch, dass ihnen ein geblümtes Kissen fehlt, um die deutschlandweit typische Seniorenszene perfekt zu machen. Aber sei’s drum, der totale Ausverkauf.

Tief drinnen weiß ich schon lange, dass das mal nötig ist und auch von draußen kam bisher nur Zuspruch. Das Ding ist also allseits geritzt. Aber jenseits dessen gestaltet’s sich schon schwieriger. Wie geht das denn, das Nichtstun?

Schon am Abend vorher in den letzten Arbeitswehen, steht der Entschluss fest: Ich nehme mir ein Beispiel am pubertierenden Mitbewohner. Ich stehe irgendwann sowas wie auf, wanke zur Kaffeemaschine, setze Kaffee auf, gehe pinkeln, putze Zähne (soviel muss sein) und schenke mir Kaffee ein. Zurück ins Bett. Der Plan ist, dort bis wenigstens mittags mit Kaffee und Buch zu verbringen. Theoretisch ergehe ich mich in Gemütlichkeitsgedanken. Praktisch lese ich ein wenig, nippe nervös und schaue auf die Uhr. Nichts machen also. Wie macht man aber nichts, wenn man immer was gemacht hat? Aber noch gefällt mir der Plan und ich halte mich daran. Ich lese also. Im Bett. Ungeduscht und im Schlafanzug. Mit Kaffee. Draußen regnet’s. Perfekt eigentlich.

Es dauert etwa dreißig Minuten, bis die Unruhe unerträglich wird und ich mich unter die Dusche stehle wie ein räudiger Köter. Aaaaaaaaaahhhhhhh. Seife – das Eichmaß der Zivilisation[1]. Anziehen, Kaffee nachschenken und dann? Letzte Woche habe ich die Butterdose zerdeppert. Dann kaufe ich wohl mal eine Neue, oder? Der Billigladen im Einkaufszentrum ist also mein Ziel. Ein Ziel, hurra!

Aber bevor es überhaupt soweit kommt, kaufe ich auch noch schnell Sommerschuhe (wie praktisch) und Duschgel im Bioladen. Hoch lebe die Prinzessin in mir – weil ich es mir wert bin. Und da sage noch einer, dass Werbung nicht wirkt. Die Butterdose kaufe ich schließlich auch noch und auch wenn das der billigste Posten auf der ungeahnten Liste ist, immerhin ist die Pflicht erfüllt, wenn auch nach der Kür. Wieder zuhause packe ich aus und koche Kaffee. Es regnet wieder. Ich streune durch die Wohnung und warte, bis sich das Wetter stabilisiert. Warte. Trinke Kaffee. Warte. Ah, jetzt aber. Oder? Ja doch. Auf dem Weg zum Fahrrad nehme ich gleich den Müllbeutel mit und fahre los. Schwül ist’s. Überall diese winzigen schwarzen Millimetertierchen, deren Pisse wie Feuer auf der Haut brennt. Ich halte an und setze mich auf eine Bank. Noch mehr Millimetertierchen.

Dieser Tag will einfach nicht, dass ich auch nur fünf Minuten in Ruhe still sitze. Dabei ist’s schon schön hier. Die Wolken, die sich absurd plastisch über tiefgrüne Hügel kämpfen. Eine leichte Brise. Sonne. Aber ach, die Natur ist grausam und unerträglich, also fahre ich wieder Richtung Stadt, halte an der Mensa an, hole mir ein Wasser, setze mich raus und  – lese. Ich weiß nicht, wie lang, aber ich weiß, nicht so sehr lang. Nach Hause also. Das Fahrrad verstaut, wieder in der Wohnung. Und nun? Ich könnt ja lesen. T.C. Boyle, Das wilde Kind. Hmtja, passend irgendwie. Dort reden sie vom Geschenk der Zivilisation, das dem armen wilden Kind, das nicht einmal die Symbole der Gottesverehrung kennt, vorenthalten wurde. Geschenk oder Fluch…die Grenzen sind da wohl fließend. Und wenn das so weiter geht, ist meine ganze Urlaubslektüre schon vor dem Urlaub verbraucht. Ich glaube, ich nicke auch kurz ein. Immerhin.

Ein Schlüssel im Schloss, ein zaghaftes Hallo. Ahja, der Mann ist da. Endlich Gesellschaft. Ob er will oder nicht, ich muss hier raus und bloß nicht allein. Küsschen Küsschen, wie war dein Tag, lass die Schuhe gleich an, du führst mich jetzt aus!

Biergarten, ich komme! Lustig ist’s dort. Viele Menschen laufen an uns vorbei. Auch eine Gruppe geleckter Farbenträger, im Schlepptau eine anorektische High-Heel-Tussi. Armes Ding, kann gar nicht wissen, wer ihr diese Nacht versüßt – der junge Recke an ihrer Hand oder die ganzen alten Herren, die ihr Rückgrat borgend dahinter stehen. Ahhhh! Zynismus mein alter Freund, dich habe ich schon eine Weile vermisst.

Der Mann hat noch eine weitere Verabredung, zu der ich nicht mitkommen möchte und lädt mich zu Hause ab. Es war seine Idee, aus diesem Ungetüm Auszeit einen Text zu stricken und so ende ich an diesem Tag also mit Laptop an meinem Schlafzimmerfenster.

Erkenntnis würde ich das nicht nennen, was mir hier durch den Kopf geht. Höchstens Fragen. Wie stellt man das am Besten an mit der Erholung? Ich kann mir ja nicht jeden Tag Schuhe kaufen und Bier trinken will ich auch nicht andauernd und die ganze Zeit lesen will ich erst recht nicht. Aber so viel steht auch fest: Mit einem Ziel oder einer Aufgabe erträgt man sich selbst bedeutend leichter. Dann ist das Projekt also eigentlich ein archäologisches: Sedimente und Verkrustungen abtragen, alles, von dem man weiß, dass man es so nicht will, ablegen und schauen, was da an Verschüttetem zum Vorschein kommt.

Klingt nach Arbeit. Und nach einer Aufgabe.

Eine Aufgabe, hurra!



[1] Filmzitat! Wer weiß, woher, bekommt einen Lutscher.

1 kommentar

  1. DaJunkie DaJunkie

    Mensch SuzieQ,

    so was aber auch. Dir wird doch nicht etwa langweilig werden? Kannst ja der Trottelbox ein neues Logo machen, wie wär’s? 😉

    Und was Du als ‘Milimetertierchen’ kennst war mir bisher unter dem Namen ‘Gewitterfliegen’ bekannt. Ich dachte die nerven nur, aber Du hast recht: Die können auch unangenehm werden:
    http://de.wikipedia.org/wiki/Fransenflügler#Fransenfl.C3.BCgler_als_L.C3.A4stlinge

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