Gestern war ein Ehepaar im Laden, das ich schon viele Jahre immer wieder mal bei uns sehe. Da ich gerade beschäftigt bin, übernimmt meine Azubine die beiden, die in gebrochenem Deutsch anfangen, auf sie einzureden. Sie haben zwei vollgeschriebene Blätter in der Hand und wollen scheinbar, dass sie abgetippt per Mail irgendwohin versendet werden. Meine Azubine setzt die beiden an einen freien Rechner und öffnet für sie Word und den Browser. Was sie als nächstes sagen verstehe ich nicht, meine Azubine ruft mich dazu und schaut mich fragend an, während der Mann ihr ratlos die Zettel entgegenhält. Ahhhh, denke ich und sage: „Nein, ich bin keine Sekretärin. Sie können gerne die Programme nutzen, aber abtippen und verschicken müssen Sie die Sachen schon selbst.“ Das Paar schaut mich ratlos an und meine Azubine versucht, nun halb auf Englisch, halb auf Deutsch, den beiden das Prozedere zu verdeutlichen. Daraufhin schaut mich die Frau etwas säuerlich an und fragt, ob ich nicht Italienisch oder Spanisch spreche. Ich verneine ungeduldig und füge hinzu, dass ich sehr gut Deutsch spreche. Dann kippt auch bei meiner Auszubildenden die Stimmung, ich sehe ihr an, dass sie mich und mein Verhalten unmöglich findet, aber jetzt auch nicht mehr weiterweiß, also setzt sie sich resigniert zurück an ihren PC. Ich beende das, was ich gerade tue und setze mich ihr gegenüber an meinen PC. Das Paar tauscht sich in einer mir unbekannten Sprache aus und der Mann macht sich unbegeistert ans Werk. Alle Anwesenden sind sichtlich gestresst.
Ich nicht, ich fühle mich gut, denke aber, dass ich meiner Auszubildenden eine Erklärung schuldig bin. Ich sage: „Mareike*, wenn man viele Jahre in einem Land lebt und die Sprache nicht lernt, dann ist das eine Entscheidung, die man gerne treffen kann. Allerdings kann man dann nicht erwarten, dass andere Menschen diese Entscheidung für einen mittragen, da muss man dann schon allein durch. Das nennt man Eigenverantwortung. Wir haben ja häufig Menschen mit schlechten Sprachkenntnissen bei uns – Austauschstudenten, Geflüchtete und – wie ich sie gerne nenne – Altmigranten. Die ersten beiden Gruppen sind erst kurz hier und können sich meinetwegen mit Händen und Füßen verständigen, den Weg gehe ich bereitwillig ein Stück weit, allerdings auch für begrenzte Zeit mit, aber es gibt eben auch Leute, die gehen hier schon seit Jahren ein uns aus und sprechen keinen ganzen Satz Deutsch und ich habe einfach keine Lust darauf, mehr Energie in die Interaktion zu investieren, als die Gegenseite. Das finde ich unfair, schließlich sind meine Ressourcen nicht weniger wichtig oder wertvoll als die des Gegenübers. Und außerdem bin ich tatsächlich keine Sekretärin.“
Mareike schaut immer noch bedröppelt drein, aber ich belasse es dabei, Grenzen muss schließlich jeder selbst für sich ziehen, denke ich und wünsche mir wie so häufig eine Sphäre in unserem sozio-politischen Diskurs, in der man über solche Dinge sprechen kann ohne als Ausländerfeind zu gelten. Wenn man nämlich genauer darüber nachdenkt, hat diese Interaktion nur zufällig mit Nationalität zu tun und viel mehr mit einem beiderseitig frei verhandelbaren Selbstverständnis.
Leider gibt es, liebe Sue, so viel Anspruchs- bzw. Opferverhalten bei so vielen Zeitgenoss*innen, daß oft sehr schnell die Realität in Begegnungen verloren gehen muß.
Sehr viel anders, als Du es hier umreißst, kann eine lebensfähige Basis zwischen Menschen nicht aussehen. Selbst wenn eine solche Begegnung immer erstmal intersubjektiv ist – also die Schnittmenge aller beteiligten subjektiven Realitäten…
Fruchtbar, echte Interaktion, wird das Ganze erst, wenn auf allen Seiten zumindest ein Bemühen um Gemeinsamkeit in Verständigung und Wahrnehmung da ist.
Und vor allem: Genug Realismus hinsichtlich des aktuellen settings, der Rahmenbedingungen der Begegnung. Also vor jeder biographischen oder ideologischen Implikation.
Trotz allem solchen Realismus, allem Bemühen und Aufeinanderzugehen, kann die Sache immer noch schiefgehen oder wenigstens keine praktischen Ergebnisse haben. Zum notwendigen Realismus gehört dann aber auch, den Mißerfolg ohne gegenseitige Schuldzuweisung oder Herabsetzung zu akzeptieren. Und zu lernen.
Sicher gibt es in der Taskleiste des Betriebssystems eine Umschaltung in andere Sprachen, aber ich erwarte im australischen Outback auch keinen Kellner, der mir einen Cocktail serviert. Das wäre out of space and mind.
So sieht wohl die Grundlage aller Begegnung aller Lebens- und Bewußtseins-Welten aus – unabhängig davon, wo wir uns treffen, ob hierzulande oder auf einer fernen Insel. Ob wir’s nun toll finden oder nicht…